Johanna Schütz im Gespräch

Wenn aus Metallketten Zopfmuster und aus Lichtspiel Mohair-Streifen werden

Manche Designer folgen Trends. Andere erschaffen sie. Und dann gibt es Menschen wie Johanna Schütz von Yarn Me Up, die ihre Inspiration an den ungewöhnlichsten Orten finden – im Baumarkt, im Schatten eines Baumes oder in den kraftvollen Schulterpartien einer Game-of-Thrones-Rüstung.
Johannas Designs erkennt man sofort: clean, tragbar und immer mit diesem besonderen Twist. Was ihre Arbeit aber wirklich auszeichnet, ist die Art, wie sie technische Perfektion mit emotionaler Tiefe verbindet. Jedes ihrer Designs erzählt eine Geschichte.

Wir haben mit Johanna über diese Momente gesprochen. Über das Liv Top, mit dem alles begann. Über kreative "Unfälle" beim Stricken, die zu den besten Ideen führen. Und darüber, warum Stricken für sie weit mehr ist als Handwerk – nämlich Selbstfürsorge, Meditation und ein Weg, bei sich selbst anzukommen.

Was war der Schlüsselmoment, der aus dir eine Strickdesignerin gemacht hat? Welche Geschichte steckt hinter deinem ersten ernsthaften Design?

Rückblickend würde ich sagen, mein erstes „richtiges“ Design war das Liv Top. Vorher hatte ich schon eine Anleitung geschrieben, aber das Liv Top war das erste, das sich für mich wirklich wie ein vollständiges, eigenständiges Design angefühlt hat. Es war das erste Mal, dass ich wirklich das Gefühl hatte, dass das mein Stil ist. Und genau dieses Gefühl hat mir den Mut gegeben, weitere Designs zu entwickeln und Yarn Me Up nach und nach zu dem zu machen, was es heute ist.

Das Liv Top: Es verzaubert mit seinem tiefen V-Ausschnitt, zartem Rippenmuster und einem verspielten Wickelband, das deine Taille sanft betont.

Was ist deine unverwechselbare Designsprache?

Ich glaube, da gibt es ein paar Dinge, die meine Designs auszeichnen. Zum einen sind sie clean, tragbar und trotzdem mit einem besonderen Twist. Zum Beispiel eine besondere Linienführung, ein clever platzierter Ausschnitt, eine interessante Konstruktion oder ein geometrisches Element, das sich ganz natürlich ins Gesamtbild einfügt.
Und was mir ganz wichtig ist: Ich arbeite ausschließlich mit Garnen ohne Acryl oder synthetischen Fasern. Hochwertige Materialien, die sich gut anfühlen und am besten auch noch nachhaltig sind, sind für mich die Grundlage jedes Designs.

Erzähl von einer Inspiration, die so ungewöhnlich war, dass du selbst überrascht warst. Wo findest du Ideen, wo andere nie hinschauen würden?

Ich glaube, was mich selbst immer wieder überrascht, ist, wie ungewöhnlich und alltäglich zugleich meine Inspirationsquellen oft sind. Es sind selten klassische Fashion-Trends oder Magazine – viel eher Dinge, die man beiläufig sieht und im ersten Moment gar nicht mit Design verbindet.

Ein gutes Beispiel ist der Freya Sweater. Die Idee dazu entstand, als ich im Baumarkt war und dort eine grobe, schwere Kette gesehen habe. Kein Schmuckstück, sondern wirklich ein massives Teil aus Metall. Ich habe plötzlich einfach darüber nachgedacht, wie ich diese Glieder wohl als Zopfmuster umsetzen würde. Aus dieser eigentlich absurden Assoziation ist ein technisch komplexer, aber wunderschöner Sweater entstanden, der jetzt durch sein durchgehendes Zopfmuster und den hohen Rollkragen auffällt.

 


Beim Tilda Top hingegen war es ein ganz zarter Moment: Ich saß draußen und habe gesehen, wie das Licht durch die feinen Blätter eines Baumes fiel. Der Schattenwurf war verspielt und flimmernd, und genau dieses Gefühl wollte ich einfangen. Das zeigt sich in den Mohair-Streifen des Designs – sie sind leicht, transparent, bewegen sich schön im Licht auf der Haut. Im Kontrast dazu steht der harte Schatten des Baumstammes mit den blickdichten Streifen.

Und beim Auri Shirt war die Inspiration eine ganz andere: Das Design ist in der Phase entstanden, in der ich – wie so viele – Game of Thrones geradezu gesuchtet habe. Ich hatte plötzlich überall diese Rüstungen vor Augen, besonders die starken Schulterpartien und die kraftvolle Silhouette. Das hat sich beim Auri Shirt ganz intuitiv übertragen, der kräftige Rippenteil an Hals und Schultern erinnert tatsächlich an eine Art Rüstung. Erst im weiteren Verlauf wird das Design dann weicher, fließender und femininer. Ich liebe solche Gegensätze – Kraft und Zartheit, Struktur und Weichheit.


Wichtig ist für mich, dass ich die Ideen schnell skizziere, sobald sie da sind. Ich blättere später manchmal durch mein Skizzenbuch und bin dann selbst überrascht, was ich alles festgehalten und teilweise vergessen habe. Da entstehen oft völlig neue Richtungen.

Hattest du schon mal den Moment, wo deine Hände etwas ganz anderes gestrickt haben als dein Kopf geplant hatte?

Oh ja – das ist mir erst kürzlich passiert, beim Frida Top.
Geplant war ein Rippendetail, das mittig aufeinander zuläuft und dann in einer geraden Linie zum Saum verläuft. Beim Stricken der ersten Version habe ich aber spontan währenddessen beschlossen, dass es in einer dreieckigen, spitz zulaufenden Form enden soll. Es sah einfach viel interessanter und schmeichelhafter aus.
Solche Momente liebe ich, weil sie zeigen, dass sich Designs auch beim Machen entwickeln und nicht nur im Kopf.

Das Frida Top mit seinem Rippenmuster und der fließenden Passe begleitet dich das ganze Jahr – ob als Layering-Piece über deinem Lieblingsshirt oder solo an warmen Tagen.

Stricken als Therapie - kennst du das? Wie verarbeitet sich dein emotionales Leben in dem, was du erschaffst?

Ja, absolut. Stricken hat für mich etwas unglaublich Beruhigendes. Es gibt Phasen, in denen es mir hilft, wieder Struktur in meine Gedanken zu bringen – Masche für Masche, Reihe für Reihe. In solchen Momenten ist es fast wie eine Art Meditation, bei der sich mein Kopf klärt und ich wieder bei mir selbst ankomme.
Gleichzeitig ist das Stricken auch eine Möglichkeit, mich auszudrücken. Es spiegelt nicht immer direkt wider, wie ich mich gerade fühle, aber oft merke ich im Nachhinein, dass ein bestimmtes Design aus einer ganz bestimmten Stimmung heraus entstanden ist.
Ich denke, man kann schon sagen, dass Stricken für mich nicht nur Handwerk, sondern auch eine Form von Selbstfürsorge ist.

Was war der Moment, in dem du fast aufgegeben hättest? Und was hat dich trotzdem weitermachen lassen?

Es gibt ehrlich gesagt nicht den einen großen Moment, in dem ich alles hinschmeißen wollte, aber dafür viele kleine. Besonders dann, wenn ich mir mal wieder ein Design vornehme, das mich technisch richtig fordert. Ich neige dazu, mir Konzepte auszudenken, die auf dem Papier wunderschön sind, in der Umsetzung aber kompliziert, weil ich eben keine Kompromisse bei Passform, Optik oder Konstruktion machen will.

Ein gutes Beispiel ist der Freya Sweater. Ich wollte ein durchgehendes Zopfmuster designen und das auf einem Pullover mit einem Zipper-Rollkragen umsetzen. Klingt erstmal nicht nach Hexenwerk, aber die Verbindung aus Struktur, Funktion und Passform war ein echtes Brett. Immer wieder habe ich mich in den technischen Details verloren, vor allem weil ich ja für zehn Größen gradiere. Da kann ein Detail, das in Größe 1 gut sitzt, in Größe 9 plötzlich nicht mehr funktionieren – und dann fängt man an, immer wieder von vorne anzusetzen und zu optimieren.


Oder der Morticia Sweater: ein anliegendes Rippenoberteil mit einem großen eckigen Dekolleté und rundem Rückenausschnitt. Ein absoluter Hingucker – aber statisch wirklich eine Herausforderung. Wie bekommt man so ein Dekolleté, das offen und trotzdem stabil ist? Ich hatte viele Skizzen und Ideen, aber bis alles wirklich so saß, wie ich es wollte, hat es unzählige Stunden und Nerven gekostet.


In solchen Momenten bin ich oft kurz davor zu sagen: „Ich lass es einfach.“ Aber was mich immer wieder weitermachen lässt, ist der Gedanke, dass genau diese Herausforderungen auch der Grund sind, warum ich das mache.
Und nicht zuletzt ist da auch das Feedback der Community, das mir immer wieder zeigt: Es lohnt sich. Es lohnt sich, dranzubleiben, die kniffligen Passagen zu knacken und dann am Ende ein Design zu sehen, das nicht nur für mich funktioniert, sondern für ganz viele verschiedene Körper. Dieses Gefühl, etwas geschaffen zu haben, das Menschen wirklich gerne tragen, das gibt mir dann wieder den Antrieb.


Welches deiner Designs trägt eine Geschichte in sich, die nur wenige kennen?

Eines meiner persönlichsten Designs ist der Silya Hoodie. Ich habe ihn letztes Jahr komplett aus meinem Wochenbett heraus entworfen und dann gestrickt. Das war eine sehr besondere und intensive Zeit für mich – ich hatte gerade im Juli meinen ersten Sohn bekommen und war auf der Suche nach einem Projekt, das mich nicht überfordert, sondern mir gleichzeitig das Gefühl von Geborgenheit und Komfort gibt.
Deshalb habe ich mich bewusst für dickere Wolle entschieden, weil ich normalerweise am liebsten mit dünnen 2,5 mm Nadeln stricke, was sehr fein und detailverliebt ist. Der Silya Hoodie hingegen sollte locker und gemütlich sitzen – genau das, was ich in der Zeit als frisch gebackene Mama gebraucht habe.

Das zweite Design mit einer persönlichen Geschichte ist der Loki Sweater, der in der nächsten Saison kommen wird. Er ist nicht nur kuschelig und oversized, sondern hat auch eine praktische Stillfunktion durch zwei Reißverschlüsse an den Seiten. Er ist daraus entstanden, dass ich frustriert war, wie wenig Auswahl es an stillfreundlicher, schöner Kleidung gibt. Der Name hat auch eine tiefere Bedeutung für mich – aber das bleibt mein Geheimnis 😊

Wann hat dich eine Reaktion auf deine Arbeit so bewegt, dass du verstanden hast: Das hier ist mehr als nur Handwerk?

Da gibt es zwei Situationen, die mich bewegt haben.
Einmal schrieb mir eine Strickerin, dass sie sich zum ersten Mal seit der Geburt ihres Kindes wieder wohl in ihrer Kleidung fühlt – und zwar im Mika Tee, das sie sich selbst gestrickt hatte. Das war für mich wirklich ein toller Moment und hat mich unheimlich gefreut.
Und dann habe ich eine Nachricht von jemandem bekommen, die sich für die Zugänglichkeit meiner Anleitungen bedankte, als neurodivergente Person. Das ist ein unglaubliches Kompliment für mich, denn Inklusion ist mir in meiner Arbeit wahnsinnig wichtig. Dass das auch so wahrgenommen wird, bedeutet mir wirklich viel.


Das Sommershirt Mika Tee mit seinem verspielten Netzmuster am Ausschnitt wird zu deinem treuen Begleiter an sonnigen Tagen – luftig-leicht gestrickt, damit du den Sommer in vollen Zügen genießen kannst.

Was sind die unsichtbaren Regeln, nach denen du arbeitest? Welche Designphilosophie hat sich über die Jahre in dir entwickelt?

Meine Anleitungen sind nicht unbedingt „einfach“. Sie sind anders, durchdacht und niemals banal. Ich versuche immer, etwas einzubauen, das den Unterschied macht: eine Konstruktion, ein Detail oder ein Twist.
Gleichzeitig lege ich viel Wert auf Proportionen, Tragbarkeit und darauf, dass jedes Design wirklich sitzt. Und ja, alles wird gründlich getestet und ausgearbeitet. Es soll nicht nur schön sein, sondern sich auch gut stricken lassen.

Welches Projekt geistert schon lange in deinem Kopf herum, wartet aber noch auf seine Verwirklichung?

Es gibt ein Projekt, das ich schon lange im Kopf habe. Ein Design, das ein festes Fingering-Garn mit einem leichten Mohair-Garn kombiniert. Die Idee ist stark von einem traditionellen Dirndl inspiriert, aber natürlich modern interpretiert. Ich weiß schon, wie es heißen wird, und welches Garn ich verwenden will. Ich muss nur den richtigen Moment finden, um damit loszulegen.

Wie sehr bestimmen die Menschen, die deine Designs stricken, eigentlich deine Arbeit mit? Spürst du ihre Wünsche in deinen Entwürfen?

Sehr stark! Ich beziehe meine Community aktiv mit ein, vor allem über Instagram und Teststrickrunden. Bei meinem aktuellen Teststrick zum Helena Top, ein luftiges Mohair-Oberteil, das diesen Dezember veröffentlicht wird, habe ich zum Beispiel eine Umfrage gemacht, welche Maschenprobe besser ankommt – und das hat wirklich meinen Designprozess beeinflusst.
Auch mein erstes Baby-/Kleinkind-Design, das Edda Baby Top, ist entstanden, weil ich Nachrichten dazu bekommen habe. Ich versuche wirklich, auf Wünsche einzugehen und gemeinsam mit meiner Community Designs zu entwickeln, die gebraucht und geliebt werden.

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Nach diesem Gespräch wird eines klar: Bei Johanna Schütz geht es nie nur ums Stricken. Es geht um Geschichten, die sich in Maschen verweben. Um den Mut, technisch anspruchsvolle Wege zu gehen, auch wenn sie kompliziert werden. Und vor allem um eine Community, die sie aktiv in ihren Designprozess einbezieht.
Was uns besonders beeindruckt? Johannas Ehrlichkeit über die schwierigen Momente – und ihre Weigerung, Kompromisse bei Passform und Konstruktion einzugehen. Genau das macht ihre Designs zu dem, was sie sind: durchdacht, inklusiv und für viele verschiedene Körper gemacht.
Der Loki Sweater mit Stillfunktion, das kommende Dirndl-inspirierte Mohair-Projekt – Johannas Ideenbuch ist voll. Wir können es kaum erwarten zu sehen, welche ungewöhnliche Inspiration als nächstes zu einem neuen Design wird. Eines ist sicher: Es wird eine Geschichte erzählen. Und es wird zeigen, dass Stricken mehr ist als Handwerk – es ist Therapie, Selbstausdruck und ein Weg, bei sich selbst anzukommen. Masche für Masche.



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Appelbanne
Design

   



Kerstin Ritter


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